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SATTE SCHREIE - Teil 1


    Der gewöhnliche Abgang

    die katzen kreischen
    auf der tischkante
    über dem wassertopf
    verdunstet der morgen
    die jagdgründe der nacht
    sind talg im kopf
    auf der matratze ein
    graues haar

    die erinnerung

    das ist der schreck
    das kalte schauern
    über den rücken

    die nacht

    was der körper
    wieder gewollt hat
    was der geist
    wieder grollt

    die sonne am morgen
    die türkisen accessoirs
    die pamphlete an der wand
    die collagen des alltags
    alles eine farce
    wenn die spinnen ihre
    netze verzweigen

    neben mir steht
    penthesilea
    und schrubbt sich
    den rost von der rüstung
    unter mir bewacht
    herodes gottes sohn
    die gangster der grauens
    stehen spalier
    als endlich
    die prozession
    berlin erreicht

    die erinnerung

    und dann:
    die nacht

    bei der laterne
    wird der magische
    apfel zerstört
    die augen sind
    blind

    die füße fallen
    von den beinen
    als jemand die
    losung ausgibt:

    keine verzweiflungstaten mehr
    ronald mcdonald schmeißt 'ne lage

    während die krüppel
    nach dem strohhalm suchen
    macht sich penthesilea
    auf die suche nach
    der photographie
    ihres glücks

    der bote von kodak
    reicht ihr den umschlag
    der spot deutet auf sie:

    die frage des
    mittelpunkts ist
    geklärt

    da ist der schreck
    das kalte schauern
    über den rücken


    die nacht

    thunfische krepieren
    in den konservendosen
    schläuche münden im
    luftzerstäuber
    kinder verenden im
    mutterleib

    meine angst legt sich
    auf die terasse von
    penthesileas wohnung

    guter schachzug
    angesichts der
    schwarzen engel
    im trubel des festes

    plötzlich
    schießt der
    spot auf
    mich

    ich sehe
    penthesileas
    bauch

    eine granate
    detoniert neben
    dem martini-glas
    sehr dry

    in ihren haaren
    kreißen die
    windhühner
    wer stellt hier
    die frage nach
    henne oder ei?

    ein tödlicher
    wortschwall
    ganz türkis
    (und ohne kleist
    zu zitieren)
    zerstört mein
    trommelfell

    die katzen kreischen
    auf der tischkante
    ich bin an ihre
    sprache gekettet

    da, endlich:
    der tod

    penthesilea
    driftet zur wohnung
    kinder, kinder
    höre ich noch

    bevor ich mein tablett
    ronald mcdonald zurückgebe


    Dünen-Erfahrung

    ich kämpfe
    nicht mehr
    nicht für mich
    oder andere

    ich erwarte
    nichts mehr
    nichts für mich
    oder andere

    ich schaue mir
    das leben an

    ich lasse mich
    einfach treiben
    dünen-erfahrung

    der wind wirbelt
    die sandkörner
    durcheinander
    faksimile der zeit

    landschaften und
    biografien
    brauchen
    zeit


    Ewiges Glück

    erst geht die sonne auf
    dann weht der wind
    die chiffon-vorhänge
    von deinen augen

    du lächelst zum
    ersten mal an
    diesem tag

    ich wandere
    durch dein
    gesicht
    bade in deinen
    augen und
    entspanne mich
    auf deiner stirn

    deine hände
    spielen
    ikebana
    mit mir

    draußen
    beginnt
    der krieg

    ich öffne die
    champagner-flasche

    und wir beginnen
    das abenteuer
    eines ewigen
    glücks




    Mann, bin ich locker

    ich liege
    flach auf dem
    rücken
    die hände geöffnet
    und die beine
    nach außen
    gestellt

    ich höre
    wie jemand sagt
    er liegt ent-
    spannt auf dem bett

    dabei liege ich
    flach auf dem rücken
    die hände geöffnet
    und die beine nach außen gestellt
    darauf wartend
    daß endlich jemand
    sagt, ich läge ent-
    spannt auf dem bett

    mann, bin ich
    locker


    Autobiographische Mitteilung oder:

    To whom it may concern

    mir wird vorgehalten:

    ich sei ein trinker
    ein apolitischer
    ein individualist
    ein anarchist
    ein unsozialer
    ein chauvinist
    ein linker
    ein träumer
    ein genie
    ein ausgeflippter
    ein tumbes arschloch
    ein softie
    ein größenwahnsinniger
    ein privatistischer
    ein menschenverachter
    ein mensch

    gut so:
    da weiß ich
    daß ich lebe


    Notlösung

    weißt du
    ich fürchte
    mich täglich
    vor mir und
    anderen menschen

    ich kann dir
    nicht sagen
    warum

    ich spüre
    zähneklappern
    am morgen
    kalten schweiß
    tagsüber und
    beklemmungen
    am abend

    ich weiß keine
    lösung
    nur

    notlösungen
    das hilft nicht
    bei dieser krankheit
    sagen mir psychologen

    ich solle meine
    empfindungen
    kennenlernen

    da fällt mir ein:

    auf der woge
    der empfindungen
    surfte der therapeut
    sich zu tode


    Für mich

    weich
    weltlich
    wahnsinnig

    eben:
    wenzel

    kalt
    kindlich
    kalkulierend

    auf abschußbahnen
    abonniert mit
    prozenten beteiligt
    aber wehrhaft

    dem teufel die
    stirn bieten
    mit grüner
    weste, kein
    jackett, nein
    das nicht

    totalitär im fühlen
    von liebe und angst

    der melancholie
    ein makler
    ganz medioker

    mit dem rücken zur wand
    das lächeln gelernt
    dem vollmond die
    weisheit gestohlen
    und der hexe einen
    staubsauger verkauft
    siemens, natürlich

    die klippen von dover
    nie gesehen, aber
    strategisch im
    griff
    zeitweise
    an der theke
    unter meinesgleichen

    eben:
    wenzel

    verbale macheten: die
    ausrüstung zum entdecken
    neuer kontinente

    keine länder mehr
    kontinente
    kontinente

    dem detail der
    totale krieg

    aufgerufen sind die
    visionäre, die träumer
    die spinner und die trans-
    alle trans-
    egal wohin

    kindlich
    der wenzel
    und so vertrauensselig
    so unbekümmert besoffen
    von sich selbst

    harmlos
    unglaublich
    ungefährlich
    aber besoffen

    gegen die gegenwart
    mehr ökologische einsicht
    bio-dynamische biographien

    das wandeln auf öffentlichen
    gewässern ist ehrensache
    schwimm-unterricht
    verboten

    weich
    weltlich
    wahnsinnig

    den thermometern
    die hitze implantieren
    kopierer als butler einstellen
    und läufige hündinnen
    der armee vermieten

    wankelmut wird
    mit otto bestraft

    jeder diskussion auflauern
    die fäden aus der hand
    verlieren und das häkeln
    zum überlebensprinzip
    proklamieren

    manchmal kalt
    immer kindlich
    selten kalkulierend

    die tiefe der weiblichen seele
    ohne sauerstoff-gerät ergründen
    lagunen zu offenen meeren erklären
    und den bergen die daseins-
    berechtigung absprechen

    vor lattenzäunen
    nur eine erotische distanz
    den philosophen immer ein
    geschenktes ohr
    und den bürokraten die
    ausgestreckte zunge

    manchmal
    wenn es dunkelt
    gibt's eingemachte
    angst zum abendessen

    aber danach
    so um mitternacht
    schwingen die mentalen
    flügel wieder über die ozeane
    des alltags

    mein gott, wenzel
    härte in deinem vornamen
    und vor allem der: eber

    schwach
    schweinisch
    scholastisch

    gegen die müdigkeit
    die kraft der phantasie
    auf der terasse des erfolgs
    immer noch die eleganz
    des rückschritts
    verkörpern

    der sonne entgegen
    ohne schrecken
    von physik nie
    etwas gehört
    aber stramm
    kraftvoll
    schwingen

    und jetzt:
    die bällchen jagen
    golfschläger studieren
    die moderate bewegung üben

    weich
    weltlich
    wahnsinnig

    eben:
    wenzel


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